Die Biologisierung der Biologie - PDF

1) Die innere Ökologisierung der Genetik

2) Klonen als Verletzung des Inzesttabus

3) Organtransplantation als Kanibalismus

Anmerkung nach 10 Jahren:
Als ich diesen Text 1996 geschrieben habe, war die biologische Wissenschaft noch weit von der eigenen Biologisierung entfernt.
Inzwischen kann man feststellen, dass der Weg in diese Richtung unumkehrbar eingeschlagen worden ist.
Das deutlichste Anzeichen dafür ist das Aufkommen des neuen Zweiges Systembiologie.
Siehe auch: What is Systems Biology?

Hamburg, den 05. Februar 2006
Heiko Feldmann



1) Die innere Ökologisierung der Genetik

Die meisten kritischen Beiträge zur Gentechnik haben eine grundlegende Schwäche. Die KritikerInnen haben noch keinen grundlegend positiven Ansatz (nicht im wertenden, sondern erkenntnismäßigen Sinne) zur Kritik der Gentechnik gefunden. Sie bleiben rein negatorisch. Sie können zwar vereinzelt Alternativen aufzeigen, aber ohne einen systematischen Ansatz zu finden. Ohne sie diffamieren zu wollen, die Beispiele dienen nur der Veranschaulichung, ähneln sie der katholischen Kirche, die ein bestimmtes Weltbild bewahren wollte, oder den Maschinenstürmern des frühen 19.Jahrhunderts. Beide gingen negatorisch vor und beide waren hilflos. Genauso werden die GentechnikkritikerInnen zur Zeit überrannt (bereits mehrere tausend Freisetzungen). Dabei ist ihr Anliegen die Abwehr unmittelbarer Gefahren für die Menschen und eigentlich leicht einsehbar. Aber wann konnte man sich schon auf die Einsicht der Menschen verlassen.

Ich bin der Ansicht, dass eine wirkungsvolle Abwehr der Gefahren der Gentechnik nur von einem positiven Standpunkt aus möglich ist, der diese systematisch erfassbar macht. Dieser Standpunkt wäre gewinnbar durch einen grundsätzlichen Erkenntnisfortschritt gegenüber der heutigen Genetik, einem Paradigmenwechsel. Dieser Paradigmenwechsel müsste es erlauben, die Berücksichtigung mindestens ökologischer, möglichst auch gesellschaftlicher Belange möglich zu machen. Dieser Paradigmenwechsel muss aber auch an den tatsächlichen biologischen Gegebenheiten orientiert sein. Ein Beispiel für die Auswirkungen einer entsprechenden Nichtachtung ist der Lysenkismus. Ein Dilemma: zugleich positiv biologisch und kritisch - ist das möglich?

Zunächst einmal sind dies ja auch die KritikerInnen, wenn auch nur punktuell, unsystematisch und unreflektiert. Sie führen diese oder jene Vernachlässigung in der Forschung an. Sie verweisen auf die prinzipielle Unsicherheit jeder Schutzvorkehrung auch im besten Labor hin. Sie weisen auf die Absurdität hin, Risikoerforschung eben durch die Produktion genau dieses Risikos zu betreiben. Dabei beziehen sie sich immer auch auf positive biologische Fakten. Sie weisen selbstverständlich auch auf die hinter der Gentechnik stehenden ökonomischen Interessen hin.

Die Praxis beweist die Unzulänglichkeit der Kritik. Zum einen fallen Ökologen auf die angeblichen Möglichkeiten der Gentechnik im Rahmen nachhaltiger Entwicklung herein. Zum anderen beanspruchen die Befürworter die Definitionsmacht, was denn "ökologisch" sei - und haben die Mittel zur Durchsetzung ihrer Definitionen. Dagegen will ich einen Standpunkt der Kritik finden, der nicht nur zufällig, sondern prinzipiell gegen solche Schwächen immun ist.

Dazu muss der Standpunkt oder das Paradigma der Genetik, wie sie heute vorliegt, zunächst genauer bestimmt werden. Historisch fallen die ersten Schritte der Biologie als moderner Wissenschaft mit dem Aufstieg der chemischen Industrie zusammen. Noch heute sind es maßgeblich Chemiekonzerne, die die Gentechnik betreiben. Die ersten Auswirkungen der Entdeckung der Vererbung waren die Vorstellungen von Reinheit der Rasse. Reinheit ist aber keine relevante biologische Kategorie, denn die verschiedenen Arten können immer nur in einem mehr oder weniger komplexen System, also in Vermischung überleben. Reinheit ist aber eine chemische Kategorie. Chemiker brauchen reine Stoffe, um Reaktionen kontrolliert ablaufen lassen zu können. Die Entdeckung der Doppelhelix ist im wesentlichen durch chemische Analysearbeit ermöglicht worden. Galt die Biologie vorher nicht als vollwertige "harte" Wissenschaft, so stürzten sich nun Chemiker und auch Physiker auf sie, mit der Folge, dass makrobiologische Fragen in den Hintergrund gedrängt wurden. Das Ergebnis ist eindeutig: Noch heute werden die Gene im wesentlichen als biologische Kristalle betrachtet, fein geordnet, eindeutig zuordnenbar, nicht vom entwickelten Lebewesen beeinflussbar und vor allem möglichst rein zu halten. Dies ist zutiefst unbiologisch. Auch ein einfacher Verweis auf ökologische Folgen bleibt im Grunde dieser Position verhaftet, denn er setzt die Gene der Umwelt entgegen.

Mein Vorschlag ist, die Biologie, vor allem die Genetik von ihren chemischen Eierschalen zu befreien. Das Mittel dazu ist die innere Ökologisierung der Genetik. Was ist darunter zu verstehen? Dies bedeutet die Ein- und Unterordnung der Gene und ihrer gesamten Funktion in die Zellbiologie. Es muss von der prinzipiellen Abhängigkeit nicht nur der Funktionsweise, sondern auch des Aufbaus der Gene von ihrer unmittelbaren Umgebung ausgegangen werden. Die Erkenntnisse in dieser Richtung sind insgesamt noch recht mager, magerer sogar als die der Genetik überhaupt. Aber es finden sich dazu schon Ansatzpunkte. Sie reichen von springenden Genen über den DNA-Transfer und Rekombinationen bis zu (bisher) unvorraussagbarem An- und Abschalten von Genen. Biologen werden sicherlich mehr Beispiele wissen. Diese innere Ökologisierung erzwingt bereits durch den Paradigmenwechsel eine andere als die heute übliche ingeneurhafte Vorgehensweise. Sie macht ein Superpositionsprinzip unmöglich und erzwingt eine rekursive Behandlung. Da die veränderten Gene auf die Zellbiologie einwirken und diese wieder auf die Gene u.s.w., und die Zellbiologie wiederum vom allgemeinen Stoffwechsel eines Lebewesens und dieser wiederum von seinem Ökosystem, zu welchem beim Menschen eben auch die Gesellschaft mit ihren eigenen Gesetzen gehört, ist nach einer inneren Ökologisierung der Genetik die angemessene Berücksichtigung der Ökologie und der Gesellschaft schon vor moralischen Erwägungen notwendig. Schon die mit der Rekursivität verbundenen Schwierigkeiten - Stichwort Chaostheorie - werden der Genetik eher die Möglichkeiten der Meteorologie als der Mechanik oder Chemie zukommen lassen.

Dies würde oben genannte Schwierigkeiten der Kritik der Gentechnik beseitigen. Der Weg kann also nicht nur Blockade heißen, auch wenn sie notwendig ist, um schon möglichst früh die größten Idiotien der GentechnikerInnen wenigstens zu mildern, sondern muss in der Biologisierung der Biologie , im besonderen der inneren Ökologisierung der Genetik liegen. Also nicht Rückschritt, sondern gerade wissenschaftlicher Fortschritt gegen die vorherrschenden, schon heute überholten Dogmen ist angesagt. Dies kann genau der positive Standpunkt sein, der der Kritik der Gentechnik zum gesellschaftlichen Durchbruch verhilft, wenn er offensiv und bewusst verfolgt wird. Das Umfeld dafür ist jedenfalls schon bereitet. Von der eigentlichen Ökologie über die Theorien nichlinearer Vorgänge in Mathematik, Physik und eben auch (ein Witz) der Chemie bis hin zu Börsen- und Managementstrategien ist ein allgemeiner Umbruch im Gange. Nur einen zentralen Teil der Biologie, die Genetik, scheint dies bisher nicht zu tangieren.

2) Klonen als Verletzung des Inzesttabus

Warum gilt Klonen, insbesondere von Menschen, aber auch von Tieren, allgemein als etwas erschreckendes und auch anstößiges? Was ist der gemeinsame moralische und damit auch sachliche Nenner?

Dazu muss man sich klar machen, was Klonen überhaupt bedeutet. Beim Klonen werden ein oder mehrere Lebewesen mit identischer genetischer Ausstattung geschaffen. Dabei bezieht sich dieser Begriff nur auf den Zellkern und die in ihm enthaltene biologische Information. Übersehen wird dabei, dass dies nicht die einzige biologische Information, das einzige genetische Material ist, das in einer Zelle vorkommt. mindestens sind zu berücksichtigen die Mitochondrien, die primär in der weiblichen Linie vererbtes, relativ mutationsarmes Material enthalten, und fast immer enthaltenes virales genetisches Material. Wenn also eine Eizelle entkernt wird, ist damit noch nicht alles genetisches Material aus ihr verschwunden. Welchen Einfluss die Mitochondrien auf die Entwicklung eines Individuums haben, ist weitgehend ungeklärt. Ihre hauptsächliche Aufgabe liegt in der Energiebeschaffung für die Zelle. Allein dadurch kommt ihr zumindest eine indirekte Rolle zu, da unter- oder vielleicht auch überversorgte Zellen eine unterschiedliche Entwicklung nehmen dürften. Auch die Rolle viralen Materials ist ungeklärt. Hierbei ist nicht von dezidierten Krankheitserregern zu reden, sondern von seid langem angepasst im Menschen vorhandenen Viren. Sind sie einfach nur unschädlicher Ballast oder erfüllen sie bestimmte Aufgaben?

Ein zentrales Problem beim Klonen ist das Auftauchen von Kopierfehlern. Diese werden in der Natur durch die sexuelle Rekombination minimiert. Des weiteren taucht immer wieder das Problem des Zelldifferenzierung mit unterschiedlicher Genaktivierung und Altersfixierung auf. Die Folgen sind vorzeitige Alterung und Krankheiten der Klone. Deshalb nimmt die Bedeutung der Parthogenese bei höreren Lebewesen laufend ab. Es ist aber nicht auszuschließen, dass die Gentechnik diese Probleme in den Griff bekommt. Es bleibt die Anfälligkeit für Krankheiten bei genetischer Monokulur. Jüngstes Beispiel ist die Banane. Bei reduziertem Genpool reduzieren sich auf die adaptiven Fähigkeiten einer Art. Deshalb ist selbst bei den sonst sehr freizügigen Bonobos der Geschlechtsverkehr zwischen Mutter und Sohn unterbunden.

Wesentlich für den Menschen ist aber noch eine andere Überlegung. Es gibt so etwas wie sozialen Inzest. Inzest ist für den Menschen nicht nur eine biologische Bedrohung, sondern auch eine der geistigen Entwicklung. Menschen brauchen viele verschiedene Anregungen. Sie brauchen auch die Möglichkeit, je ihren eigenen Weg im Leben zu finden, also Individualität zu entwickeln. Reproduktives Klonen macht nur Sinn, wenn man eine komplette Person reproduzieren will. Auch wenn dies wegen der ständig sich ändernden sozialen Bedingungen reine Fantasie ist, belastet es doch die geistige Entwicklung des Klons. Er ist dazu verurteilt, sich Zeit seines Lebens einer anderen Persönlichkeit unterzuordnen oder wenigstens gegen sie zu kämpfen, ähnlich wie bei übermächtigen Elternteilen. Klonen in größerem Maßstab würde eine Gesellschaft zum Stillstand (und damit zum Kollaps) in der Entwicklung zwingen (Manche würden diesen Stillstand wohl sogar begrüßen.).

3) Organtransplantation und Therapie mit embryonalen Stammzellen als Kanibalismus

Bezüglich des Kannibalismus gibt es zwei Grundmotivationen

  • Nahrungsmangel
  • Aneignung der Fähigkeiten/Stärke/Macht des Verspeisten
Letzterer Punkt war früher symbolischer Art.

Heute verschmelzen die beiden Punkte in der Nutzung fremden Gewebes. Die Aneignung erfolgt nicht mehr über die Nahrungsaufnahme, sondern mittels medizinischer Technik, aber die Konsequenz ist die gleiche. Der erste Punkt taucht als Organtransplantation wieder auf. Es geht zwar nicht mehr ums Überleben durch Nahrungsaufnahme, aber durch den unmittelbaren Ersatz defekter Körperteile. Aber auch fehlende Gliedmaße können ersetzt werden (Punkt zwei). Die Therapie mit embryonalen Stammzellen ist zur Zeit noch auf die Verbesserung der Lebensqualität abzielend, soweit sie überhaupt schon funktioniert. Sie ist auf die Zerstörung aufkeimenden menschlichen Lebens angewiesen, sei es auch nur als Beiprodukt eines ohnehin erfolgten Schwangerschaftsabbruches. Die Organtransplantation ist auf den Tod oder mindestens massive Schädigung eines anderen Menschen angewiesen, ob beiläufig wie bei z.B. Unfallopfern oder absichtlich wie beim Organdiebstahl.

Damit wird der Mensch zu einer Sache degradiert, nach seinem Tod oder sogar schon vorher. Er wird zu einem reinen Objekt der Aneignung. Es ist diese fundamentale Entmenschlichung, die am Kannibalismus wie an Organtransplantation und embryonaler Stammzellentherapie so abstoßend ist.

Beides sind meiner Ansicht nach aber auch historische Übergangserscheinungen. Ich gehe davon aus, dass es möglich sein wird, adulte Stammzellen für alle diese Aufgaben einzusetzen. Es wird möglich sein, normale Körperzellen wieder in einen pluripotenten Zustand zu überführen. Dann kann daraus neues Körpergewebe, neue Organe gewonnen werden. Dies wäre kein Kannibalismus, sondern eine Erweiterung der eigenen körperlichen Reproduktionsfähigkeit. Je mehr aber körperfremdes Gewebe zum Einsatz kommt, des länger wird der Übergang dauern, da Resourcen gebunden werden.