Der Strukturimperialismus als letztes Stadium des Kapitalismus - PDF

Lenin bezeichnete den Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Womit er recht hatte. Und er versuchte daraus das Ende des Kapitalismus abzuleiten. Womit er nicht recht hatte. Denn das höchste Stadium ist selten das letzte. Der Hochform folgt meistens eine Verfallsform.

Was ist "Strukturimperialismus"? Und warum sollte dieser das letzte Stadium des Kapitalismus sein?

Was ist Imperialismus?

Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung der Welt durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist.
- Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus - Lenin Werke 22, S. 271

Man muss nicht jede Einzelheit der marxistischen Debatte über den Imperialismus kennen und erst recht nicht jede Zeile bei Lenin unterschreiben. Dennoch macht dessen Definition ganz gut klar, um was es geht: Um räumliche Expansion und neue Konzentration von Kapital in Monopolen und Oligopolen. Durch die enge Verflechtung mit dem Staat wird auch von staatsmonopolistischem Kapitalismus gesprochen.

Ganz grundsätzlich kann der Kapitalismus ohne ständige Erweiterung nicht existieren. So ist es verständlich, dass Lenin, aber auch Rosa Luxemburg diese Phase des Kapitalismus als Verfallsform betrachteten, da die räumliche Ausdehnung abgeschlossen gewesen sei. Aber zum einen war sie das zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur formal. Weite Bereiche funktionierten weiter in Form traditioneller Gesellschaften. Zum anderen waren große Teile des Lebens auch in den imperialistischen Metropolen noch nicht der kapitalistischen Verwertung unterworfen, z.B. die biologische Reproduktion, oder mussten vom Staat aufrechterhalten werden, z.B. Wasserversorgung, da der Entwicklungsstand der Produktivkräfte, am besten durch Fordismus und Entfaltung der chemischen Industrie gekennzeichnet, noch nicht zu deren Einbeziehung in die Kapitallogik ausreichte. Damit stand dem Kapitalismus noch eine vertikale Ausdehnungsrichtung offen.

Aus heutiger Sicht erscheint die Vokabel "Fäulnis", die Lenin für diese dynamische Epoche des Kapitalismus gebraucht hat und mit der er nicht alleine stand, doch etwas verfehlt. Auch die Linke hatte sich an den alten liberalen und eingespielten Kapitalismus gewöhnt. Zudem hatten sie den ersten Weltkrieg vor Augen und gleichzeitig die Ungeduld der Revolution. Auch die staatssozialistischen Gesellschaften kann man kaum anders als staatsmonopolistisch und damit kapitalistisch bezeichnen. Der Imperialismus endet mehr oder weniger mit dem Jahr 1989. Von diesem Augenblick hat sich der Spätkapitalismus (E. Mandel) durchgesetzt, wenngleich die Beseitigung der Reste des Imperialismus noch andauert.

Was ist "Struktur"?

"Struktur [lateinisch] - Menge der die Elemente eines Systems miteinander verknüpfenden Relationen.
- Philosophisches Wörterbuch, S. 1180

Beim Strukturimperialismus ist die Struktur das System der jeweilige Gesellschaft, die dem imperialistischen Angriff unterliegt. Die verknüpfenden Relationen sind die vielfältigen menschlichen Beziehungen dieser Gesellschaft, sowohl in Ökonomie wie Überbau wie auch alle privaten Beziehungen.

Im bisherigen Kolonialismus und Imperialismus war der Kapitalismus auf die Schaffung und Erhaltung von fixierten Strukturen angewiesen. Dies galt sowohl für das Heimatland des jeweiligen Kapitals (Nationalstaaten als Reparaturbetrieb, große organisierte Unternehmen, Kleinfamilie als private Organisationsform) wie auch für die Kolonien. Letzteres konnte im Sinne der Nutzung vorgefundener Strukturen geschehen wie bei der "Indirect Rule" der Briten oder aber durch Überstülpen der eigenen Strukturen wie beim Französischen Imperialismus oder aber der vollständigen Ersetzung wie bei den Deutschen (was auch gleich zur Ersetzung der Menschen = Ausrottung der Vorhandenen führte). In geistiger Hinsicht waren diese Strukturen die großen Erzählungen, die teils noch aus vorkapitalistischen Zeiten übernommen und angepasst worden sind.

Für den Strukturimperialismus werden diese vom Kapitalismus selbst geschaffenen Strukturen immer mehr zum Hindernis. Dank der Entwicklung der Kommunikationsmittel und moderner Informationsverarbeitung werden immer mehr Vorgänge in der Verwaltung und Produktion von dem Vorhandensein zentraler Steuerung unabhängig. Schrittweise werden die Arbeitsstrukturen diesem angepasst. Fixierte Abläufe werden durch die "Just in Time"-Produktion abgelöst. Große Firmenstrukturen durch Agglomerate von kleinen Zulieferern, Dienstleistern und intern durch wechselnde Arbeitsgruppen statt fester Abteilungen. Gleiches gilt für den Überbau. Der Staat wird vom bürokratischen Nationalstaat in einen flexiblen Dienstleistungsbetrieb umgewandelt. Aber auch das Privatleben ist davon betroffen, auch wenn hier die Anpassungen langsamer ablaufen. Dank Mobiltelefon treten verbindliche Verabredungen immer mehr in den Hintergrund. Die Ehe wird durch Lebensabschnittspartnerschaften ersetzt.

War der alte Imperialismus einer, der in der Fläche operierte, so dringt der Strukturimperialismus in die Tiefe ein. Es ist kein Imperialismus, der Strukturen benutzt, sondern diese auflöst. In globaler Hinsicht geschieht dies in der Wirtschaft durch Outsourcing. Man muss sich nur einmal die Teileliste eines beliebigen Produktes ansehen. Ein Auto wird mit hunderten von Einzelteilen gebaut, fast alle von anderen Firmen als der Autofirma selber. Der Überbau wird abgedeckt durch WTO, IWF und Weltbank. Während die WTO im wirtschaftlichen Bereich für die Entstrukturierung sorgt, z.B. durch das Verbot nichttarifärer Handelshemmnisse, beseitigen IWF und Weltbank die staatlichen Strukturen durch Strukturanpassungsprogramme, wesentlich Strukturzerstörungsprogramme.

In privater Hinsicht werden die alten Familienstrukturen aufgelöst. Während in den Industrienationen die Normalfamilie sich auf dem Rückzug befindet und die Auflösung dieser Strukturen mangels anderer Sicherung mit einer sinkenden Geburtenrate einhergeht, ist in den Entwicklungsländern dieser Prozess erst am Anfang. Hier wird er schwieriger und schwerwiegender sein, da immer noch in vielen Teilen die vorbürgerliche Großfamilie vorherrscht. Zum einen haben sich noch nicht einmal die minimalen Sicherungssysteme der Industrienationen ausgebildet. Zum anderen ist die psychologische Individuierung noch am Anfang. Religiöser Fundamentalismus ist eine Reaktion darauf und deshalb in den besser ausgebildeten Schichten, die von diesem Prozess zunächst stärker betroffen ist, auch stärker ausgebildet. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Großfamilie nicht auf die Gruppensituation im Toyotismus vorbereitet. Die Großfamilie wird durch einen quasi naturhaften Zusammenhalt getragen, die Teams durch Professionalismus, dass heißt, durch die bedingungslose Hingabe an die Notwendigkeiten des Berufs.

Die Nationalstaaten verlieren an Bedeutung gegenüber dem Zusammenschluss auf regionaler Ebene. Es konkurrieren jetzt ganze Erdteile miteinander. Dabei sind auch viele Gesellschaften, die im Imperialismus noch zu den beherrschten gehörten, z.B. China und die südostasiatischen Tiger. Gab es im Imperialismus nur die Konkurrenz zwischen den Nationalstaaten, so kennzeichnet den Strukturimperialismus permanente Gleichzeitigkeit von Konkurrenz und Kooperation der Sphären. Auch der Krieg hat sich verändert. Von den kleinen Berufsheeren des Liberalismus über die Massenheere der Weltkriege hin zu einer Vielzahl von sich immer wieder neu formierenden Kombatanden. War schon im Zweiten Weltkrieg die Trennung zwischen Militär und Zivilbevölkerung in Frage gestellt, so ist sie angesichts der Zersplitterung der Kriegsführung unmöglich geworden. Das Ziel eines Krieges ist auch nicht mehr Eroberung und Sieg. Der Krieg wird zu einem allgemeinen Mittel der Politik und ist nicht mehr Ultima Ratio. Er wird in Form der Warlordisierung sogar zur Lebensform. In Form des Low Intensity War und der Ausweitung so genannter Spezialeinheiten hat dies auch die ehemaligen imperialistischen Mächte erreicht. Der dritte Golfkrieg war als Landkrieg mit großen Mengen an Bodentruppen und Besetzung eines ganzen Landes trotz aller Hightech Waffen ein völliger Anachronismus.

Warum ist der Strukturimperialismus das letzte Stadium des Kapitalismus?

Es kann zu Recht auf die Gefahr hingewiesen werden, sich in der Hinsicht auf das Ende des Kapitalismus zu verschätzen, wie dies bei Lenin und Luxemburg der Fall war. Um dieser Gefahr zu entgehen, muss man die weiteren Ausdehnungsmöglichkeiten des Kapitalismus nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ beurteilen. Dies bedeutet, die mögliche Produktivkraftentwicklung einzuschätzen.

Die formale räumliche Ausdehnung ist abgeschlossen. Sogar der Weltraum ist in Beschlag genommen worden. Alle Gebiete der Erde werden immer intensiver in die kapitalistische Verwertung einbezogen, auch wenn einige sich noch gegen die Konsequenzen sträuben.

Wie hat Marx die Bedingungen des Endes einer Gesellschaft bestimmt?

Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind.
- Zur Kritik der Politischen Ökonomie - Vorwort, MEW 13, S.9

An Produktivkräften sind die ontologischen Schichten von Physik und Chemie einbezogen. Was zur Zeit stattfindet, ist der Wandel von der Chemie als führend in der Akkumulation hin zu den biologischen Produktivkräften (siehe Die ursprüngliche biologische Akkumulation). Zu diesen biologischen Produktivkräften gehören auch Informationstechnik und Nanotechnik. Das der Kapitalismus die biologischen Produktivkräfte entwickeln kann, beweist er zur Zeit mit aller Macht. Nicht nur füllen sich die Datenbank mit exponentiell wachsender Geschwindigkeit mit Gensequenzen und Proteinstrukturen. Sondern es wird jetzt auch die Zellbiologie in Angriff genommen. Und die Umgebung der Zelle, das Lebewesen und auch dessen Umgebung, das Ökosystem, werden folgen. So sehr noch vereinzelt an chemisch geprägten Denkweisen festgehalten wird - inzwischen mehr in der Öffentlichkeit als in den Wissenschaften - beweist deren schrittweise Ersetzung die Kraft des Kapitalismus, noch immer Widerstände der Produktivkraftentwicklung zu überwinden.

Es bleibt eine ontologische Schicht, die vom Kapitalismus noch nicht in Angriff genommen worden ist: das Menschliche. Aber genau dies kann der Kapitalismus nicht, denn seine Verwertungslogik beruht auf der Ignorierung der materiellen, sozialen und psychischen Ansprüche der Menschen. Die Verdinglichung und Entwürdigung des Menschen als entweder reines Anhängsel der Produktion (Proletariat) oder des Kapitals (Stichwort Charaktermaske, die komfortablere Variante) ist dem Kapitalismus wesensmäßig inhärent. Die Würde der Menschen und wirkliche Freiheit ergibt sich aus der freien Assoziation der Produzenten.

Der Kapitalismus lässt eine solche nicht zu, sondern nur die Unterwerfung unter die Zwänge der Kapitalverwertung. Aber der Kapitalismus schafft auch die Voraussetzungen zu seiner Aufhebung. Mit der Entfaltung der biologischen Wissenschaften fällt die letzte Abhängigkeit des Menschen von der Natur. Aber diese Wissenschaften, eingeführt in die Produktion, tritt dem Menschen als zweite Natur, als Gewalt des kapitalistischen Verwertungsprozesses gegenüber. Mit Bacon begann das Projekt der technisch-wissenschaftlich Emanzipation des Menschen von der Natur. Was mit der Vollendung des Bacon-Projektes auf die Tagesordnung kommt, ist das Meta-Bacon-Projekt. Dies ist die wissenschaftliche Emanzipation des Menschen von der zweiten Natur, der sich ihm entgegenstellende Maschinerie.

Die Kommunikationstechnologie und die Informationsverarbeitung bilden eine notwendige Voraussetzung für diesen Schritt, denn nur so kann ein freier Zusammenschluss von Produzenten ohne Zentralinstanz funktionieren. Wesentliche Aufgabe aller bisherigen Herrschaft war die Verarbeitung von Information. Am Ende der kapitalistischen werden dies die Produzenten selber können. Projekte im Internet wie GNU und Wikipedia demonstrieren schon heute die Kraft freier Zusammenschlüsse. Am Ende wird es der ökonomische Hebel der sozialistischen Produktion sein, dass die freie Zusammenarbeit sich als effektiver und effizienter als die kapitalische Lohnarbeit erweist, so wie ab einem bestimmten Entwicklungsstand der Produktivkräfte die Lohnarbeit der formal freien Arbeiter effizienter als die von Sklaven war. (Am Rande: Wenn die Kapitalisten über zu hohe Lohnkosten jammern, so zeigt dies nur ihre Unfähigkeit, die gegebene Technik so zu nutzen, dass die Produktivität ihrer Arbeiter dem (welt)gesellschaftlichen Durchschnitt entspricht oder diesen sogar übersteigt.)

Der Strukturimperialismus als Entelechie des Kapitalismus

Die bisherige Überlegung zum Ende des Kapitalismus bestimmt dessen Ende ex negativo. Dies ist aus dialektischer Sicht unbefriedigend. Damit bleibt ein Rest von Kontingenz in den Überlegungen. Deshalb soll hier gezeigt werden, dass der Strukturimperialismus auch positiv das Ende des Kapitalismus bedeutet.

Aristoteles bestimmt die Form unter anderem als Telos, als Ziel der Entwicklung eines Lebewesens. In der Scholastik wurde dieses Ziel als außerhalb des Lebewesens verstanden. Dies ist aber eine Missinterpretation von Aristoteles. Bei Aristoteles ist das Ziel dem Lebewesen inhärent, das Ziel ist die inhaltliche Ausfüllung der Form (Entelechie). In der Dialektik ist die Vollendung der Form die Voraussetzung des Übergangs zur nächsten Stufe.

Der Kapitalismus ist aus dem Warentausch als Vorform hervorgegangen. Der Warentausch beruht auf dem permanenten Austausch der Waren gemäß ihrem Anteil an durchschnittlicher gesellschaftlicher Arbeitskraft. Der Profit entspringt aus der dabei vollzogenen Realisation von Mehrarbeit als Mehrwert. Die Weiterverwendung des Profits entscheidet darüber, ob wir es mit Kapitalismus zu tun haben oder nicht.

In der einfachsten Form des Warentausches wird der Profit einfach konsumiert.

Im unmittelbaren Produktenaustausch ist jede Ware unmittelbar Tauschmittel für ihren Besitzer, Äquivalent für ihren Nichtbesitzer, jedoch nur insoweit sie Gebrauchswert für ihn. Der Tauschartikel erhält also noch keine von seinem eigenen Gebrauchswert oder dem individuellen Bedürfnis der Austauscher unabhängige Wertform.
- MEW 23, Das Kapital, S. 103

Diese Stufe entspricht psychologisch der oralen Phase. Es gibt noch keine Speicherung von Wert. In der Produktivkraftentwicklung ist dies eine einfache mechanische Produktion mit vielen naturhaften Elementen, die ihre erste entfaltete Form in den frühen Hochkulturen findet.

In der nächsten Form des Warentausches wird der Profit angesammelt, nicht mehr konsumiert, aber auch noch nicht der Produktion wieder zugeführt. Es handelt sich um Schatzbildung. Die Voraussetzung dafür ist die Schaffung einer Ware, deren Gebrauchswert die Übertragung von Tauschwert ist.

Ein Verkehr, worin Warenbesitzer ihre eignen Artikel mit verschiednen andren Artikeln austauschen und vergleichen, findet niemals statt, ohne daß verschiedne Waren von verschiednen Warenbesitzern innerhalb ihres Verkehrs mit einer und derselben dritten Warenart ausgetauscht und als Werte verglichen werden. Solche dritte Ware, indem sie Äquivalent für verschiedne andre Waren wird, erhält unmittelbar, wenn auch in engen Grenzen, allgemeine oder gesellschaftliche Äquivalentform. Diese allgemeine Äquivalentform entsteht und vergeht mit dem augenblicklichen gesellschaftlichen Kontakt, der sie ins Leben rief. Abwechselnd und flüchtig kommt sie dieser oder jener Ware zu. Mit der Entwicklung des Warenaustausches heftet sie sich aber ausschließlich fest an besondere Warenarten oder kristallisiert zur Geldform.
- MEW 23, Das Kapital, S. 103

Wir verfolgen die Befestigung dieses falschen Scheins. Er ist vollendet, sobald die allgemeine Äquivalentform mit der Naturalform einer besonderen Warenart verwachsen oder zur Geldform kristallisiert ist.
- MEW 23, Das Kapital, S. 107

Dieses Kristallisieren des Geldes wird von Marx mehrfach angesprochen. Dies deutet schon auf die chemische Natur dieser Phase hin. Durch die Schatzbildung wird dies noch deutlicher:

Mit der ersten Entwicklung der Warenzirkulation selbst entwickelt sich die Notwendigkeit und die Leidenschaft, das Produkt der ersten Metamorphose, die verwandelte Gestalt der Ware oder ihre Goldpuppe festzuhalten. Ware wird verkauft, nicht um Ware zu kaufen, sondern um Warenform durch Geldform zu ersetzen. Aus bloßer Vermittlung des Stoffwechsels wird dieser Formwechsel zum Selbstzweck. Die entäußerte Gestalt der Ware wird verhindert, als ihre absolut veräußerliche Gestalt oder nur verschwindende Geldform zu funktionieren. Das Geld versteinert damit zum Schatz, und der Warenverkäufer wird Schatzbildner.
- MEW 23, Das Kapital, S. 144

Mit der Möglichkeit, die Ware als Tauschwert oder den Tauschwert als Ware festzuhalten, erwacht die Goldgier.
- MEW 23, Das Kapital, S. 145

Die Zirkulation wird die große gesellschaftliche Retorte, worin alles hineinfliegt, um als Geldkristall wieder herauszukommen. Dieser Alchimie widerstehn nicht einmal Heiligenknochen und noch viel weniger minder grobe res sacrosanctae, extra commercium hominum.
- MEW 23, Das Kapital, S. 145

Um das Gold als Geld festzuhalten und daher als Element der Schatzbildung, muß es verhindert werden zu zirkulieren oder als Kaufmittel sich in Genußmittel aufzulösen. Der Schatzbildner opfert daher dem Goldfetisch seine Fleischeslust. Er macht Ernst mit dem Evangelium der Entsagung. Andrerseits kann er der Zirkulation nur in Geld entziehn, was er ihr in Ware gibt. je mehr er produziert, desto mehr kann er verkaufen. Arbeitsamkeit, Sparsamkeit und Geiz bilden daher seine Kardinaltugenden, viel verkaufen, wenig kaufen, die Summe seiner politischen Ökonomie.
- MEW 23, Das Kapital, S. 147

In der Schatzbildung wird der anale und damit chemische Charakter (Retorte, Alchimie) dieser Phase des Warentausches offenkundig. Es geht um festhalten und entsagen. Freud setzt Dreck und Kot auf der einen Seite und Gold und Geld auf der anderen Seite in ihrer psychischen Funktion gleich. Der frühkindliche Lustgewinn ergibt sich aus dem Festhalten des Kots. Der spezifische analfixierte Charakter gleicht dem von Marx beschriebenen des Schatzbildners. Die hohe Zeit der Schatzbildung ist das Mittelalter.

Aber Kapitalismus ist mehr als nur Warentausch. Kapitalismus bedeutet, dass der überschüssige Mehrwert nicht konsumiert und auch nicht als Schatz gehortet wird.

Kapitalismus bedeutet, dass ein Teil des Mehrwerts dazu benutzt wird, die Gesamtmenge des Kapitals zu erweitern. Damit ist der Kapitalismus ein offenes, ökologisches System. Die Erde als Ökosystem erfordert die Zuführung von Sonnenenergie, um nicht nur die Entropie auszugleichen, sondern Negentropie (Schrödinger) aufzubauen. So wie das Kapital sich auf immer höherer Stufe der organischen Zusammensetzung des Kapitals reproduziert, so entwickelte sich das Leben zu immer höheren Stufen, bis es uns Menschen hervorgebracht hat. Auch der Kapitalismus wird die Voraussetzungen schaffen für eine menschliche Gesellschaft. Aber so wie der Mensch aus der Natur heraustritt, so wird die menschliche Gesellschaft den Kapitalismus hinter sich lassen.

Der Kapitalismus bewegt sich in immer neuen Kreisläufen von Geld - Ware -Geld'. So wie die Evolution bewusstlos immer neue Formen des Lebens hervorbringt, so der Kapitalismus immer neue Formen der Produktionsmittel. Wie in der Biologie gibt es keine zentrale Planung, sondern das planlose zusammen und gegeneinander Wirken der einzelnen Teile. Es gibt Zusammenschlüsse von Unternehmen wie von Insekten. Gerade die moderne Entwicklung zeigt die Tendenz, sich nicht auf ein Modell festlegen zu lassen. Die Entwicklung von Unternehmen kann zu Konzentration und zu Outsourcing führen.

In der modernen Biologie spielt der Informationsbegriff eine zentrale Rolle. Gene werden nicht mehr als fixierte Kristalle, sondern als dynamische Informationsträger aufgefasst. Sowohl in der einzelnen Zelle wie im Organismus wie im Ökosystem spielen Regelkreisle mit dem Transfer von Information eine entscheidende Rolle. In der letzten Stufe des Kapitalismus gelangt das Motto "Wissen ist Macht" zur vollen Entfaltung. Die Informationsgesellschaft beruht auf der Steuerung und Blockierung der Verfügbarkeit von Informationen. Nicht mehr die zentrale Lenkung, sondern immer feinere Selbstorganisation des Lean Managements ist angesagt. Obwohl selbstverständlich auch Modewort zeigt doch das Erreichen von Synergieeffekten den Weg.

Im Strukturimperialismus kommen die biologische Form, der Warentausch und die Kapitalbildung, die den Kapitalismus an sich auszeichnet, und der biologische Inhalt in der konkreten Gestalt der biologischen Produktionsmittel zur Deckung. Im Strukturimperialismus ist der Kapitalismus an und für sich kapitalistisch. Dies ist die positive Bestimmung des Endes des Kapitalismus, da im Moment der Erfüllung der Form, in seiner Entelechie die dialektische Aufhebung ansteht. Die Gesellschaftsformation Kapitalismus kann unter gehen, weil alle Produktivkräfte entwickelt sein werden, für die sie weit genug ist.

Und nun?

Die hier dargestellten Überlegungen sind optimistisch, was das Ende überhaupt des Kapitalismus angeht. Er ist in seine letzte Phase eingetreten und beseitigt schneller als jemals zuvor sowohl die vorkapitalistischen Reste wie auch die veralteten Stufen des Kapitalismus selber. Er befreit auch die Menschen aus alten Fesseln, oft genug, um sie zugleich ins Elend zu stürzen. Und immer nur, um noch effektiver ausbeuten zu können.

Die hier dargestellten Überlegungen sind pessimistisch, was das zeitliche Ende des Kapitalismus angeht. Auch wenn die wissenschaftliche Entwicklung mit hohem Tempo vorankommt, so muss doch der Kapitalismus bei der technischen Umsetzung noch einige gesellschaftliche Widerstände überwinden, nicht zuletzt von Kapitalisten, die auch auf der Verliererseite der Entwicklung stehen werden. Oder eben von Menschen, die immer noch vorkapitalistische Machtpositionen innehaben. Oder eben von Menschen, die sich die Verfügungsgewalt über die eigene Reproduktion nicht nehmen lassen wollen. Alles zusammengenommen muss man mit dem Ende des Kapitalismus aber eher in Jahrzehnten als Jahrhunderten rechnen.

Auch wenn man als Kommunist die Entwicklung beschleunigt sehen will, kann man nicht jeden Widerstand dagegen als reaktionär abtun (was gleichwohl oft bei vielen Widerständen, vor allem religiösen der Fall ist). Da der Kapitalismus keine Planung und keine Gesamtverantwortung kennt und gerade im Frühstadium einer Entwicklung auf deren ökonomische Umsetzung dringt auch ohne Kenntnis der Folgen, ist es eine Aufgabe der Linken, hier einzugreifen.

Aber die zentrale Aufgabe ist es, die materiellen Bedingungen und die Würde der Menschen sicherzustellen. Und die wird der Kapitalismus in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch massiv verletzen. So sehr der Kapitalismus die Entwicklung der Produktivkräfte bewusstlos an das Ende treibt, so wenig kann auf einen Automatismus des Übergangs zum Sozialismus gehofft werden. Es wird ökonomische Gründe für den Übergang geben. Aber dieser muss bewusst erfolgen. Nach dem Kapitalismus wird es nur eine freie und bewusste Assoziation der Produzenten geben. Deshalb kann der Weg nur sein, schon jetzt auf diese Freiheit zu setzen. Dies funktioniert nur bei der Beachtung der Würde und sozialen Bedürfnisse jedes Einzelnen. Eine Verelendungstheorie, die die Verelendung der Menschen zu politischen Zwecken in Kauf nimmt, instrumentalisiert die Menschen in einer Weise, die jeden freien Zusammenschluss unmöglich macht.